Wetterumschwung, Wärme und Widerstand – Einflüsse auf die Übertragungskapazität
Es gibt viele Gründe für den Netzausbau. Dazu gehören auch das Wetter und das Zusammenspiel von Wärme und elektrischem Widerstand. Warum beobachten wir sommerliche Temperaturen bei manchen Freileitungen so genau? Hintergrund ist der Einfluss der Wärme auf die Übertragungsleistung. Zu hohe Temperaturen senken die Kapazität. Anderseits lässt sich „schlechtes Wetter“ gut nutzen, um den Stromfluss kontrolliert zu erhöhen.
Wir sprechen viel von der Übertragungskapazität. Dabei geht es um die Belastbarkeit der Freileitungen, also die Menge an Strom, die maximal und bei Einhaltung aller Sicherheiten fließen darf. Hier liegt einer der Gründe für den Netzausbau, denn wir dürfen die Freileitungen auf Dauer nur mit einer genormten Belastung und stark gesichert betreiben. Leiterseile sollten sich im Betrieb nicht auf 80° Celsius erhitzen, wie es durch die Norm EN 50182 vorgeschrieben ist. Diese Grenze ist vernünftig, denn mit der Wärme dehnt sich das Material, die Seile hängen mehr durch. Mit höherer Temperatur steigt so die Gefahr des Überschlags. Bei zu starker Erhitzung schalten die Leitungen automatisch ab.
Wärme und Widerstand
Wo immer Strom fließt, entsteht Wärme durch den Widerstand der Stromleitung. Hervorgerufen wird dies durch Reibungswärme der Elektronen, die bei Stromfluss aneinanderstoßen. Je größer der Leitungsdurchschnitt, umso weniger Reibung gibt es und umso weniger Wärme entsteht. Ist der Durchschnitt dagegen kleiner oder erhöht sich der Durchfluss, wird die Leitung wärmer. Hinzu kommen äußere Faktoren, von denen die Erwärmung des Materials abhängt. Das ist natürlich die Lufttemperatur, außerdem kühlen Wind und Regen die Seile ab. In einem ganz anderen Zusammenhang, im kleinen Maßstab könnte man die entstehende Wärme nutzen – dafür würde der Leiter etwa direkt zum Glühen gebracht oder als Wärmequelle genutzt. Ein Beispiel: Die alte Glühbirne leuchtet durch das Erhitzen des kurzen Wolfram-Metalldrahtes. Elektrische Energie wird dabei durch den gezielt hohen Widerstand in Licht und Wärme umgewandelt. Fürs Übertragungsnetz kommen im Gegensatz dazu nur Materialien mit sehr geringem elektrischem Widerstand infrage, um effizient Strom zu transportieren – und möglichst wenig Energie in Form von Wärme zu verlieren.
Klima und Kapazitäten
Die maximale Betriebstemperatur der Höchstspannungsleitungen begrenzt die Übertragungskapazität. Beeinflusst wird die Wärmeentwicklung durch zwei Faktoren: Die Stärke des Stromflusses und durch klimatische Bedingungen. Für die Strombelastbarkeit wird immer von einem genormten Hochsommerwetter ausgegangen: 35°Celsius, 0,6 m/s Windgeschwindigkeit und 900 Watt/m² Sonnenstrahlung. Übersetzt: Ein windarmer Tag mit starker Sonneneinstrahlung und ohne Regen. Mit diesen Werten haben wir in Oberfranken und der Oberpfalz eine sichere Grundlage. Doch in anderen, windigeren Regionen oder auch in den Wintermonaten ergibt sich eine Lücke zwischen dem Standardwert für die Belastung und tatsächlichen Temperatur. Diese Lücke wird von TenneT und anderen Übertragungsnetzbetreibern derzeit genutzt. Lässt sich das Wetter entlang einer Stromtrasse exakt verfolgen, können wir teilweise mehr Strom durch die Leitungen fließen lassen – sofern Wind und Regen die Kühlfunktion übernehmen.
Der witterungsabhängige Freileitungsbetrieb
Hierfür hat die Gesetzgebung eine vorübergehende Möglichkeit geschaffen. Mit dem „witterungsabhängigen Freileitungsbetrieb“, beziehungsweise Freileitungsmonitoring, kann die Stromversorgung vorübergehend auf den Bestandsleitungen kurzzeitig erhöht werden. Hierfür wird statt des Normklimas die Betriebstemperatur gemessen oder die Wirkung des Wetters mit den aktuellen Klimadaten modelliert. Auf diese Weise darf auch TenneT seine Höchstspannungsleitungen bis zum Winter 2024 mit höherer Auslastung betreiben. Mögliche Engpässe können vermieden werden und das Planungsprinzip NOVA – Netzoptimierung vor Netzverstärkung vor Netzausbau – wird eingehalten. Wir belasten hierfür die Leiterseile bei kühlem, windreichem Wetter gezielt stärker und können mehr Strom übertragen. Wichtig ist, dass trotzdem alle Sicherheiten und Grenzwerte, zum Beispiel beim Immissionsschutz eingehalten werden und dass die technischen Voraussetzungen durch Messpunkte an den Leitungen gegeben sind.
Hohe Kapazitäten bei jedem Wetter: Der neue Ostbayernring
Als natürlicher Win-Win-Effekt steht dank dem Monitoring vor allem im Winter mehr Strom in den Verbrauchszentren zur Verfügung – also genau dann, wenn auch ein erhöhter Strombedarf besteht. Mit Hilfe des witterungsabhängigen Freileitungsbetriebs nutzen wir die Übertragungskapazität der Freileitungen besser aus, je nach Wetterlage um bis zu 50 Prozent. Alles jedoch nur, soweit es die Frühlings- und Sommertemperaturen zulassen. Im Hochsommer fallen die Übertragungskapazitäten naturgemäß kleiner aus. Hier sind wir klar auf die Erhöhung der Kapazität durch den Netzausbau angewiesen. Und so sichert der neue Ostbayernring die Stromversorgung als eine solide Versorgungstrasse mit den neuen Flussrichtungen zu jeder Wind- und Wetterlage.