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Leitungsbau

Die Geschichte des Leitungsbaus: Im Land der Leitungspioniere

Seit mehr als 100 Jahren werden Übertragungsleitungen errichtet – die weltweit erste entstand in Bayern. Die Energieversorgung entwickelte sich von einzelnen Inselnetzen in den Städten zu einem internationalen Verbundnetz. Auch die Trasse des Ostbayernrings ist zumindest teilweise „netzhistorisch“ gewachsen. Die Geschichte des Leitungsbaus ist dabei immer eine Geschichte der Stromversorgung und der Kraftwerksarten – vor allem aber eine Geschichte der Pioniere.

 

Erste Experimente mit der Stromübertragung

Schon 1729 experimentierte der englische Physiker Stephen Gray an kleinen „Freileitungen“ zur Übertragung von Elektrizität. Er nutzte dafür feuchte Hanfschnüre, die er an Seidenfäden aufhing. Bis zur Nutzung der Leitungsfähigkeit von Metallen – und überhaupt der Elektrizität – war es noch ein weiter Weg. Auch bis zur nutzbaren Freileitung sollten noch etwa 150 Jahre vergehen. Der Begriff „Leitungsbau“ bezieht sich auf den oberirdischen Bau von Stromleitungen. Leitungen und kleine Netze für die Telekommunikation entstanden bereits etwas vor den ersten Freileitungen zur Stromübertragung.

 

Keine Leitung ohne Kraftwerk und Transformator

Bis 1900 wurde der Elektrizität fast ausschließlich zur Beleuchtung genutzt. Licht spielt als Auslöser für unser Übertragungsnetz eine zentrale Rolle. Dies hat sich in der Zwischenzeit geändert. Heute wird nur noch ein geringer Anteil des Stroms für die Beleuchtung verwendet. Ein wichtiger Schritt für die große Nutzung von Elektrizität in den heutigen Ausmaßen war die Entdeckung des dynamoelektrischen Prinzips durch Werner von Siemens im Jahr 1866. Dies

bildete die Grundlage für alle modernen Großgeneratoren und für den Bau von Kraftwerken. Zur Fernübertragung elektrischer Energie fehlte dann nur noch der Transformator, um Spannungen für die Verbreitung via Übertragungsleitung oder Netz hochzutransformieren. Die ersten Netzsysteme standen in engem Zusammenhang mit den damals möglichen Kraftwerken. Dabei handelte es sich zunächst um Wasserkraft, die in den Alpen zur Verfügung stand. Der Stromfluss verlief also eher von Süd nach Nord.

 

Die ersten Übertragungsleitungen

Bayern ist bei Übertragungsleitungen weltweiter Vorreiter: 1882 wurde zwischen München und Miesbach in Oberbayern die erste Hochspannungsleitung mit Gleichstrom und einer Spannung von 2-kV in Betrieb genommen. Initiator waren Oskar von Miller, Gründer des Deutschen Museums und des Bayernwerks sowie der französische Leitungspionier Marcel Depréz. Der damalige Anlass war die „Electricitäts-Ausstellung“ in München. Die von einer Dampfmaschine erzeugte Energie wurde 57 Kilometer weit übertragen, vor allem für den Betrieb eines Springbrunnens in der Hauptstadt. Es folgten Leitungen in Frankreich, in der Schweiz und in Italien. Im Jahr 1891 folgte die erste Drehstromfreileitung: Erneut unter Beteiligung von Oskar von Miller wurden Lauffen am Neckar und Frankfurt am Main über eine Distanz von 176 Kilometer miteinander verbunden. Die Trasse führte durch Württemberg, Baden, Hessen und Preußen. Auch damals schon musste in jeder betroffenen Verwaltung eine Genehmigung eingeholt werden – und manch erzürnter Bürgermeister überzeugt werden.

 

Die ersten Leitungsbauer

Bei der Elektrifizierung und bei den ersten Freileitungen handelte es sich um Pionierleistungen. Da mit den Leitungen das Licht in die Häuser kam, brachte der Beruf hohe Achtung mit sich. Die Leitungsmonteure konnten kaum auf vorhandenes Wissen, Normen oder gesetzliche Vorschriften zugreifen. Nichts war gegeben und der „Quereinstieg“ für alle Beteiligten normal. Viele Handwerker waren zuvor noch Klempner, Schlosser oder Gasinstallateure gewesen. Die Energieversorger, zu Beginn oft private Aktiengesellschaften, betrieben eigene Abteilungen für Leitungsbau.

 

Das erste Übertragungsnetz

1905 nahm die erste Freileitung mit 50-kV zwischen Moosburg und München ihren Betrieb auf, 1912 eine erste 110-kV-Freileitung zwischen Lauchhammer und Riesa. Die erste 220-kV-Freileitung ging 1922 in Betrieb (Ronsdorf–Letmathe, Nordrhein-Westfalen). Aus einzelnen Leitungen folgte vielerorts der Ausbau regionaler Netze. Mit der Verbindung der Inselnetze wurde die Stromversorgung auch sicherer. Es war wieder Oskar von Miller, der ein Übertragungsnetz für Bayern in Zusammenhang mit einem Pumpspeicherwerk ins Spiel brachte. Das damalige Bayernwerk für landesweite Stromversorgung löste Inselnetze von einzelnen Kraftwerken ab, die bis dahin größere Städte regional versorgten. 1924 ging dafür das Walchenseekraftwerk in Betrieb. Als weltgrößtes Speicherkraftwerk speiste es den Strom ins zugehörige landesweite Fernleitungsnetz ein. Manche der Stahlgittermasten aus dieser Zeit stehen heute noch. Die beiden Abschnitte BNord und BSüd des Ostbayernrings liegen heute übrigens noch immer ungefähr im Korridor einer der damaligen 110-kV-Leitungen.

 

Reichssammelschiene und Wiederaufbau

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde ein deutschlandweites Verbundnetz für die Versorgung vor allem der Rüstungsindustrie unter dem Namen „Reichssammelschiene“ geplant. Verwirklich wurde davon lediglich eine 220-kV-Leitung zwischen Helmstedt und dem österreichischen Ernsthofen. Nach dem Krieg und dem Wiederaufbau wurde das deutsche Verbundnetz vollständig auf Wechselstrom umgestellt. Ausnahmen davon gibt es bei der Bahn, bei Seekabeln beziehungsweise den Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungen.

 

Die erste 380-kV-Leitung in Schweden

Nach 1950 konnte das Übertragungsnetz beständig ausgebaut werden und die Atomkraft löste allmählich die Wasserkraft als Energiequelle ab. Im Jahr 1952 nahm in Schweden die weltweit erste 380-kV-Freileitung den normalen Betrieb auf: Die 800 Kilometer lange Strecke verband ein Kraftwerk im hohen Norden mit den Industrie- und Verkehrsknoten im Süden Skandinaviens. Kurze Zeit später folgte auch die erste 380-kV-Freileitung in Deutschland. Seit 1957 verbindet sie  das Umspannwerk Hoheneck bei Stuttgart mit dem Umspannwerk Rommerskirchen bei Köln.

 

Weiterentwicklungen

Mit der Strommarktliberalisierung im Jahr 1988 wurde die Energieversorgung in Deutschland vom Netzbetrieb getrennt. So entstand auch die Unterscheidung zwischen Übertragungs- und Verteilnetz. Die Übertragungsnetzbetreiber steuern den Stromfluss auf Höchstspannungsebene. Das nun seit 130 Jahren erprobte und bewährte Prinzip der Freileitung für die Übertragung elektrischer Energie zeigt sich als ein solides Erfolgsmodell. Weiterentwicklungen der Technik gab es noch durch Spannungsspitzen, so etwa mit 765-kV-Leitungen in Kanada, Russland und den USA oder 1999 durch die 1100-kV-Leitung Kita-Iwaki in Japan.